Gute 1,5 Std. später hatte ich Berlin erreicht und dank Navi auch den Empfänger recht schnell gefunden. Als ich endlich vor der mir zugewiesenen Rampe die Bremsen zu machte, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen. Ich schnappte mir die Papiere und meine Zigaretten, stieg aus und zündete mir im Schatten meines Scania’s erst mal eine an und nahm einen tiefen Zug. Nachdem ich die Kippe unter dem Trailer verschwinden lassen hatte, machte ich mich auf den Weg zum Bürogebäude. >>
Da sind Sie ja!<< fauchte mich beim betreten der Dispo eine ältere Frau an. Ich streckte ihr wortlos die Papiere entgegen. Sie drehte sich um und verschwand hinter ihrem Schreibtisch. Ich stand dort bestimmt 10 Minuten wie bestellt und nicht abgeholt herum, bis ich nachfragte >>
Muss ich nicht noch irgendwas unterschreiben?<< Der alte Drachen blickte hinter ihrem Monitor hervor >>
Sie müssen erst mal warten, bis wir die Ladung vollständig kontrolliert haben!<< So langsam fing ich an zu bereuen, diesen Auftrag angenommen zu haben. >>
Links den Flur runter ist ein Aufenthaltsraum, dort können Sie warten.<< Da ich keine Lust hatte hier länger rumzustehen, machte ich mich auf den Weg. Der Aufenthaltsraum, der aus einer kleinen Küchenzeile und einer Eckbank mit Tisch bestand, war schnell gefunden. Wenigstens gab es eine Kaffeemaschine mit frischem Kaffee. Man hatte es mir zwar nicht angeboten, aber da in dieser Firma „gutes Benehmen“ scheinbar eh nicht angebracht war, nahm ich mir einfach eine Tasse und setzte mich an den Tisch. Auf diesem lag eine Bild-Zeitung, ich würde ja nie im Leben Geld für dieses Schmierblatt ausgeben, aber wenn sie irgendwo rum liegt kann ich meistens doch nicht widerstehen. Und ein kleiner Zeitvertreib kam mir in diesem Moment gerade recht.
Ich war gerade dabei, die Bild zum dritten Mal durchzublättern, als plötzlich ein junges Mädel, vielleicht gerade mal 20 Jahre alt mit schulterlangen schwarzen Locken in die Küche kam. Als sie mich sah sagte sie kurz >>
Hallo<< und widmete sich gleich der Kaffeemaschine. Ihr Blick war wütend und nachdem sie eine große Tasse mit Kaffee gefüllt und einen Schuss Milch hinzugefügt hatte, verschwand sie genauso schnell wie sie gekommen war. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich schon seit über einer Stunde dort saß. Ich trank meinen Kaffee aus, stellte die Tasse zurück auf die Spüle und machte mich auf den Weg zum Drachen.
Auf dem Weg zur Dispo öffnete sich neben mir plötzlich eine Tür und der kleine Lockenkopf kam im Eilschritt heraus gestürmt. Scheinbar hatte sie mich nicht gesehen und ich konnte so schnell auch nicht mehr zur Seite springen und so kam es, dass sie in mich rein lief. Das wäre jetzt nicht so schlimm gewesen, wenn Sie nicht noch immer die große Tasse mit dem heißen Kaffee in den Händen gehalten hätte, welcher sich durch den Aufprall fast komplett über meinem T-Shirt ergoss. Sie blickte an mir hoch, Ihre Augen waren bis zum Rand mit Tränen gefüllt. Vom Schmerz auf meiner Brust völlig gelähmt stand ich regungslos da. Sie duckte sich unter meinem rechten Arm hindurch, rannte den Flur runter und verschwand am Ende des Ganges hinter einer Tür. Ich drehte mich wieder in Richtung Tür, in der nun ein kleiner untersetzter Mann stand welcher mich wütend anschnauzte >>
Is was?<< und ohne auf eine Antwort zu warten mir die Tür vor der Nase zuknallte. Nun konnte ich das Schild auf der Tür lesen:
Dieter Zilinsky – Dispoleiter.
Meine Brust brannte immer noch, als ich wieder bei dem Drachen vorstellig wurde. >>
Wie sehen Sie denn aus?<< ich ignorierte die Frage. >>
Wie lange dauert denn die Kontrolle des Trailers noch?<< Konnte der doch egal sein wie ich aussehe. >>
Fast fertig. Sie können schon mal zu ihrem LKW gehen, der Lagerleiter wird Ihnen gleich die Papiere bringen.<< gab sie mir sachlich zur Antwort. >>
Wofür …<< Ich unterbrach die Frage. War mir jetzt auch egal, warum ich dann hier
oben warten sollte und machte mich auf den Weg. Im Scania angekommen wechselte ich erst mal das Shirt und versuchte zu verstehen, was da eben passiert war. Ich vermutete, dass die Kleine wohl die Azubine in diesem Saftladen ist und scheinbar für nicht viel mehr als für die Versorgung ihrer Kollegen mit Kaffee zuständig war. Und mit dem Kaffee für Herrn Zilinsky war wohl irgendwas nicht in Ordnung gewesen. Armes Ding – schoss es mir durch den Kopf.
Ich wollte gerade den Laptop aufklappen, als es an meiner Tür klopfte. Der Lagerleiter stand mit den Papieren in der Hand neben meinem Fenster – endlich. Ich wollte gerade den Zündschlüssel umdrehen als ich im Augenwinkel sah, wie der kleine Lockenkopf aus dem Bürogebäude kam und mit schnellem Schritt auf den Ausgang des Firmengeländes zusteuerte.
Frau Dr. Schäfer hatte mir mehrmals gesagt, ich soll aufhören, mich um die Probleme anderer zu kümmern, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders. Ich startete den Motor, rollte zur Ausfahrt, schaute in welche Richtung sie gelaufen war und fuhr ihr nach. Als ich sie nach wenigen Metern eingeholt hatte und wir zum Glück nicht mehr im Blickfeld der Firma waren hielt ich neben ihr an, sprang aus meinem LKW und ging zu ihr auf den Bürgersteig. Als ich vor ihr stand schauten mich Ihre immer noch feuchten Augen mit einer Mischung aus Verwirrung und Angst an. >>
Darf ich dich zum Essen einladen?<< Der Anteil der Verwirrung in ihrem Blick wurde für einen kurzen Moment größer, doch dann kam die Angst wieder zurück. >>
Keine Angst, ich bin kein Vergewaltiger oder sonst irgend so ein Spinner. Ich finde nach der Kaffee-Attacke bist du mir was schuldig und als Entschuldigung lasse ich nur gelten, wenn ich dich zum Essen einladen
darf.<< Sie schaute beschämt zu Boden und ihre Wangen bekamen eine leicht rötliche Färbung. >>
Aber wenn das eine Entschuldigung sein soll, müsste ich dann nicht dich einladen?<< Das war das erste Mal bis auf das kurze „Hallo“ vorhin in der Küche, dass ich ihre Stimme hörte, und sie klang irgendwie süß. >>
Das entscheidet der Geschädigte.<< und um ihr den letzten Rest Angst zu nehmen fügte ich noch hinzu >>
Ich war noch nie in Berlin, hab seit heute morgen nichts mehr gegessen und du weißt doch bestimmt, wo man hier was leckeres zu essen bekommt!?<< Sie überlegte noch kurz >>
Na gut.<<
Im LKW wurde nicht viel gesprochen. Wir hatten uns ziemlich schnell auf italienische Küche geeinigt und sie sagte mir an den Kreuzungen, in welche Richtung ich fahren sollte. Irgendwann stellte ich mir die Frage, was ich hier eigentlich vor hatte? Anflirten wollte ich sie nicht, sie war mit Sicherheit viel zu jung und eigentlich auch nicht unbedingt mein Typ. Doch bevor ich eine Antwort auf diese Frage finden konnte ertönte es von rechts >>
Wir sind da!<< Auf dem Weg zur Eingangstür rief sie noch schnell ihre Mutter an um ihr mitzuteilen, warum sie heute abend später nach Hause kommen würde. Während ich die Zeit nutzte, um noch eine Zigarette vor dem Eingang zu rauchen, konnte ich anhand ihrer Antworten erkennen, dass ihre Mutter wohl nicht so begeistert war. Aber nachdem sie ihr von dem Kaffeeunfall erzählt hatte und in welchem Restaurant wir essen würden, schien ihre Mutter sich zu beruhigen.
Während wir die Speisekarte studierten sagte keiner ein Wort. Erst nachdem der Kellner unsere Bestellung aufgenommen hatte, fragte sie mich >>
Warum tust du das?<< Da war wieder die Frage, auf die ich eben keine Antwort gefunden hatte. Ich überlegte kurz >>
Wenn ich ehrlich bin hab ich mir die Frage auf der Fahrt hierher auch schon gestellt. Ich glaube dein Tag war heute ziemlich bescheiden und vielleicht kann ich dich ja wieder ein bisschen aufmuntern.<< Sie wurde wieder rot >>
Und wie schon gesagt habe ich großen Hunger und kenne mich hier nicht aus. Und hätte ich etwa Herrn Zilinsky fragen sollen, wo ich hier was Gutes zu Essen bekomme?<< Sie lachte. Ich erzählte ihr erst mal von mir, von meinem letzten Arbeitgeber und die Probleme die ich dort hatte bis hin zum Burn-Out, von meinem Kindheitstraum und wie ich diesen nach 32 Jahren endlich in Erfüllung gehen lies. Anschließend fing sie an zu erzählen. Ihr Name war Sarah und sie war 21 Jahre alt. Sarah war keine Azubine mehr, sondern hatte letztes Jahr im Mai ihre Prüfung zur Speditions-kauffrau mit 97% abgeschlossen. Aber dadurch habe sich nichts geändert. Sie war immer noch für’s Kaffee holen zuständig, durfte langweilige Kopierarbeiten machen und auch sonst alles, wo die Kollegen keine Lust zu hatten. Sie hatte auch schon versucht sich bei anderen Speditionen zu bewerben, aber ohne Berufserfahrung wollte sie keiner
einstellen. Dass konnte ich ihr nur bestätigen, dass ging mir damals nach meiner Ausbildung nicht viel anders. Dann wurde es persönlicher. Sarah erzählte mir von ihrem Vater, der früher auch LKW gefahren sei, bis er vor 6 Jahren bei dem Transrapid-Unglück im emsländischen Lathen ums Leben kam. Danach musste sie sich nach der Schule um den Haushalt und ihre kleine Schwester kümmern, da ihre Mutter wieder Vollzeit arbeiten ging. Trotzdem hat Sarah es geschafft, einen guten Schulabschluss und eine noch bessere Berufs-ausbildung zu erreichen – Respekt! Allerdings musste Sarah dafür auch Opfer bringen. Viel Freizeit hatte sie die letzten Jahre nicht gehabt, wodurch sich nach und nach auch ihr Freundeskreis immer kleiner wurde. Auf meine Frage, warum Sie denn ausgerechnet Speditionskauffrau lernen wollte bekam ich zur Antwort, dass Sie sich durch ihren Vater schon immer für LKW’s interessiert hatte, und sie eigentlich auch den Führerschein Klasse CE machen wollte, um in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, aber leider konnte sie sich diesen nicht leisten. Deshalb habe sie diesen Beruf gewählt, um so wenigstens irgendwie mit LKW’s zu tun zu haben.
Den Rest des Abends redeten wir über alles Mögliche und ich musste feststellen, dass Sarah mit ihren 21 Jahren doch schon wesentlich Erwachsener war, als es so manche Frau Mitte bis Ende 20 manchal ist. Wir tauschten noch die Handy-Nr. und eMail-Adresse, bevor ich Sarah um kurz nach Zwölf zu Hause ablieferte. Zum Abschied gab es noch eine freundschaftliche Umarmung, wobei wir von ihrer Mutter durch’s Fenster beobachtet wurden. Dann verschwand Sarah im Hauseingang und ich machte mich auf die Suche nach einem Plätzchen für die Nacht.
Einen Schlafplatz hatte ich letzte Nacht schnell gefunden, was ohne Trailer auch wesentlich einfacher war. Und ich bin auch gleich in die Koje und eingeschlafen. Um 07:30Uhr klingelte mein Wecker. Nach einer provisorischen Wäsche mit Wasser aus einer Flasche machte ich mich auf die Suche nach den Walzen, welche ich ein paar Meter vor den Toren Berlins auch schnell gefunden hatte. Nachdem ich den Trailer aufgesattelt und die Papiere unterschrieben hatte gab ich im Navi als Ziel „Zu Hause“ ein. Bei einem Blick auf die Übersichtskarte musste ich feststellen, dass mein Navi mich quer durch die Republik über jede Menge Landstraßen lotsen wollte. Darauf hatte ich aber keine Lust, und ich suchte mir im Internet eine andere Route.
Am frühen Nachmittag wurde es an der Raststätte Hörselgau mal wieder Zeit, meinem Brummi ein paar Liter Diesel zu gönnen. Beim bezahlen in der Tankstelle steckte ich noch was zu Beißen ein und lies mir meinen Thermobecher füllen. Anschließend suchte ich mir einen Parkplatz, um erst mal ein Päuschen zu machen. Ich startete meinen Laptop und öffnete mein Mailprogramm. Eigentlich wollte ich meinem Versicherungsmakler eine eMail schreiben, doch dann sah ich, dass ich eine von Sarah erhalten hatte:
Hallo Schosch!
Danke nochmal für den schönen Abend gestern! Es hat so gut getan mal wieder mit jemandem zu reden. Und danke für’s Zuhören!
Wenn du mal wieder in Berlin bist, bin ich dran mit bezahlen!
Wünsche dir eine gute Heimfahrt!
LG
Sarah
Ich freute mich sehr über diese Mail, dennoch beschloss ich ihr nicht jetzt zu antworten und stattdessen meinem Makler eine Mail zu schreiben:
Hallo Michael,
hast du morgen irgendwann Zeit für mich? Müssen uns dringend mal wegen einer Transport-/Frachtversicherung unterhalten.
Gruß
Schosch
Um kurz nach Sieben erreichte ich endlich meine Abfahrt. Die Fahrt verlief für einen Freitag Nachmittag ungewöhnlich ruhig. Kurz nach dem Rastplatz Hörselgau hatte ich Herrn Bächel angerufen und gefragt, ob ich mein Gespann über’s Wochenende bei ihm auf dem Firmengelände parken könnte, da ich selbst ja noch keine Garage besaß. Und das ganze WE wollte ich nicht die Bushaltestelle der Grundschule blockieren, auch wenn wahrscheinlich kein Bus in dieser Zeit kommen würde. Für Herrn Bächel war das kein Problem, wenn ich es vor 20:00Uhr nach Köln schaffen würde und am Sonntag nicht vor 0:00Uhr wieder los wollte.
Anschließend klingelte ich noch bei Markus durch und wollte fragen, wann wir am WE Snooker spielen könnten, aber leider lag er mit Magen-Darm-Grippe im Bett und fiel somit das ganze Wochenende aus.
Ich hatte meinen Scania noch nicht richtig bei PoSped geparkt, da stand meine Mutter schon bereit um mich abzuholen. Zu Hause angekommen räumte ich noch meine Taschen aus, sprang unter die Dusche und lies mich anschließend auf meine Couch fallen, um mich den restlichen Abend quer durch alle Programme zu zappen. Ich hatte kurz überlegt Sarah zu antworten, und Nathalie musste ich ja auch noch schreiben, aber ich war zu faul zum aufstehen und zappte weiter, bis irgendwann meine Augenlieder der Schwerkraft nachgaben …
Fortsetzung folgt ...